Da, das bin ich

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

176 Seiten

CHF 26.00, EUR 26.00

ISBN: 978-3-85990-026-4


5 Rezensionen

Walter Matthias Diggelmann verstand sich als Schriftsteller, lange bevor sein erstes Buch in den Handel kam. Sein Publikum waren Verwandte und Freunde, sein Medium die Briefe, die er an sie verschickte. Mit Briefen, so bekannte er später, habe alles angefangen. Als er, noch keine 20 Jahre alt, von seiner abenteuerlichen Reise nach Deutschland zurückkehrte und in der Schweiz zuerst einmal bei der Polizei und danach in einer psychiatrischen Anstalt landete, fing er an, Briefe zu schreiben: Briefe, in denen er seine Geschichte erzählte und versuchte, sich seiner Umwelt verständlich zu machen. Briefe waren gewissermassen die Keimzelle seines späteren literarischen Schaffens.

Die Lust am Briefeschreiben ist ihm geblieben. Davon zeugt die umfangreiche Korrespondenz, die er nach seinem Tod im Jahr 1979 hinterliess. Dieses Buch enthält eine repräsentative Auswahl jener Briefe, die Walter Matthias Diggelmann im Laufe seines Lebens an Freunde und Verwandte, an Kollegen, Verleger, Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geschrieben hatte. Das früheste Schreiben stammt aus dem Jahr 1948, das letzte verfasste er, als er bereits schwer krank war und die Hand ihm kaum mehr gehorchte.

Heute lesen sich diese Briefe fast wie ein Tagebuch des Schriftstellers Walter Matthias Diggelmann und zugleich wie ein Stück schweizerische Kultur- und Zeitgeschichte. Der tägliche Überlebenskampf des Autors ist dabei ebenso ein Thema wie das Ringen mit dem literarischen Stoff oder die Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, die die Öffentlichkeit bewegten. Vom Beginn der sechziger Jahre an war Diggelmann einer der meistdiskutierten Schriftsteller dieses Landes. Er kannte jeden, jeder kannte ihn. In den Briefen werden noch einmal all die Stimmen laut, die für die Entwicklung der modernen Schweiz von Bedeutung waren.
Mit dem Band „So, das bin ich“ ist die von Klara Obermüller betreute Werkausgabe von Walter Matthias Diggelmann abgeschlossen. Die Briefe sind eine Ergänzung des literarischen Schaffens und zugleich berührende Zeugnisse einer schwierigen Existenz.

Werkausgabe

Band 1 bis 6 von Walter Matthias Diggelmanns Werkausgabe sind auch im Schuber erhältlich:

Der Preis: Fr. 120.-, Euro 120.-
Die Bestellnummer: ISBN 978-3-85990-031-8

Rezensionen

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Das wichtigste und beste Buch des Autors

NZZ / 11.6.06

Als Schlussband der sechsbändigen Walter-Matthias-Diggelmann-Ausgabe, die vier Romande, dazu Erzählungen, Kolumnen und Gedichte des engagierten Zürcher Autors (1927-1979) enthält, ist ein Band mit Selbstzeugnissen und Briefen erschienen. Er ist, mit einem Wort, das wichtigste und beste Buch des Autors. Nirgends hat er sich unverstellter erklärt als in seinen Briefen an Freunde und Kollegen, Verleger und Politiker. Ungestüm und leidenschaftlich sind diese bald launigen, bald verzweifelten Verständigungsversuche. Sie bilden gleichzeitig das intime Journal eines schwierigen Menschen und ein aufschlussreiches Dokument zur Zeitgeschichte; sie zeigen Diggelmanns Auseinandersetzung mit seiner Herkunft und Identität, das Scheitern seiner Versuche, eine bürgerliche Existenz aufzubauen, sein Eingreifen in politische Debatten, seinen Kampf mit Krankheit, Sucht und Tod. Was im Werk mitunter forciert erscheint, begegnet uns hier direkt und anrührend. Frisch, Dürrenmatt und Max Bill, Peter Keckeis und Werner Weber gehören zu Diggelmanns Adressaten. Bewegend sind die Briefe an den Stiefbruder Fred Haltiner, der sich 1973 das Leben nahm. Verstreute Selbstzeugnisse ergänzen den knapp und klar kommentierten Band. Schade nur, dass ein Register fehlt. (pap.)

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"Ich trage meine Haut zu Markte"

Hanspeter Gansner, Vorwärts / 23.6.06

WMD, wie man ihn nannte, war das Enfant terribleder Schweizer Literaturszene von 1950 bis in dieSiebzigerjahre: er wollte schon als Bub «Schriftseller» (sic!) werden, wie er einmal mit einer typisch Freud’schen Schreib-Fehlleistung in einem seiner ersten Lebensläufe krakelte. Jedenfalls, die Würfel waren gefallen, und selbst der Anstaltsdirektor der Rheinau bei Rhäzüns hatte damals die gute Idee, diese ersten Gehversuche des zukünftigen Schweizer Aussenseiters
par excellence sorgfältig aufzuheben.

Diggelmann ist von diesem Augenblick an hin und her gerissen zwischen der Resignation des Aussenseiters, der Eitelkeit des Nonkonformisten, dem Furor des écrivain engagé und schliesslich dem Pathos des quasi offiziellen People-Autors. Diese wertvollen Zeugnisse eines frühen Einzelgängers und Linksextremen stehen heute im Schweizerischen Literaturarchiv der Schweiz zur Konsultation zur Verfügung. Zum Glück hat Klara Obermüller, Diggelmanns dritte Ehefrau, langjährige Weltwoche-Redaktorin, als dieses Weltblatt noch links und oppositionell war, jetzt den Anpfiff zu einem abschliessenden sechsten Band der Werkausgabe Diggelmanns gegeben. Diese Diggelmann-Briefe sind von einer Radikalität und Chuzpe, dass dem Leser oft die Spucke wegleibt! Briefe an Walther Hofer, Konrad Farner, Willy Bretscher, Ernst Bieri, Werner Wollenberger, Luc Boissonas, Werner Weber, Mario Cortesi, Aurel Schmidt, Sigmund Widmer, Bertold Rothschild, Daniel Vischer und Hans Habe, um nur eine zufällig herausgegriffene, aber die extreme Bandbreite der Adressaten in etwa abdeckende Auswahl zu geben, die zur Lektüre des Briefbandes anstiften soll, kommen vor.

In den sonst ausgezeichnet erläuternden Anmerkungen zu jedem Brief, in welchen man viel über die Adressaten, aber auch über Diggelmanns damalige
Lebensumstände, ja sogar über andere, im jeweiligen Brief erwähnte sympathische Zeit-Genossen oder politisch Ungeniessbare erfährt, ist bei Peter Hirsch, genannt Surava allerdings vergessen gegangen, dass Surava auch Redaktor des Vorwärts war. Bitte bei den zukünftigen Auflagen nachtragen, die sicher nicht ausbleiben werden, denn das Buch verspricht jetzt schon ein gewaltiger Insider-Bestseller zu werden!

Unbedingt lesen auch den Schandbrief an Rudolf Gilgen, nachdem dieser in Zürich zwei Gymnasiasten aus der Schule schmeissen liess, weil sich diese bei den «Antifaschismus-Wochen» von 1974 hervorgetan hatten! Absolute Aktualität also: Man lässt die Neonazis aufmarschieren, und dann verfolgt man die Antifaschisten, denen über dieser unerträgliche Tatsache, verständlicherweise, die Hutschnur platzt! Sogar an Helmut Kohl, damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz sandte Digg eine gesalzene Bulle – ob die «Birne» den Brief gelesen hat, ist zwar eine andere Frage. Allzu steile Pässe von WMD gehen oft ins Offside, doch andere führen zu Toren: wer die Siege und Niederlagen der Linken in den beiden Dezennien der Sechzigern und Siebzigern etwas näher kennt, schaut die heissesten Szenen im Spiegel dieser Briefe eines nie umgefallenen Achtundsechzigers in diesem Aufzeichnungsband Nummer 6 der Edition 8 mit Ver- und Bewunderung nochmals näher an: Wo war ich selber damals, was hab ich damals gemacht, wie stehe ich heute dazu? Politische Selbstanalyse garantiert. Die Effizienz von Schreibkursen, wie sie ab diesem Herbst auch vom neu gegründeten Literaturinstitut der Schweiz angeboten werden, kommentierte der Autodidakt Diggelmann mit einem Diktum von Max Frisch, der auf die Frage, ob man literarisches Schreiben lernen könne oder nicht, knapp und präzis sagte: «Wer kann, der kann es.» An Maria Becker schreibt er einmal, als es ihm gerade ziemlich gut ging, aus Schernelz am Bielersee: «So komme ich, wenn schon nicht mir, wenigstens dem Ramuz näher». Beide, Ramuz und Diggelmann, zwei aufeinander folgende Generationen, sind mit Leib und Seele Schweizer, der Welsche und der Deutschschweizer, der Wertkonservative und der Rebell; das heisst genauer definiert: der konservativ-bäuerliche Libertäre und der engagiert-städtische Marxist. Aber beide Charles Ferdinand Ramuz 1878–1947 Hans-Peter Gansner. Von «literarischen Tanga-Slips», Schandbriefen an den ehemaligen zürcherischen Regierungsrat Gilgen, Literaturzaren und dem «Einholen der Ekstase über Disziplin». Über überraschende Neuerscheinungen von Charles Ferdinand Ramuz, Walter Matthias Diggelmann, Marcel Reich-Ranicki, Hugo Loetscher und Janos Stefan Buchwardt dank ihrem extrem kleinbürgerlichen Bewusstsein als literarische Kunst-Handwerker und Kleingewerbler natürlich absolute Radikal-Individualisten, geradezu unberechenbar gefährliche «Incontrolados» des Geistes.

In Etagnières, im Gros de Vaud, wo Digg sich dem alten Ramuz geografisch noch einen Schritt näherte und eine Hübsche aus Ouchy heiratete, nannte er sich
«Weinbergwolf», in Anlehnung an den Hesse-Roman «Steppenwolf». Dort verbrachte WMD wohl die glücklichsten Jahre seines Lebens. Aber auch dieses Idyll war von kurzer Dauer. Spannend wie ein Roman, aber nicht so langweilig, stellt diese Briefausgabe die eigentlich linke Sensation dieses Jahres dar.

(Auszug)