Zettel und Litaneien

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

192 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-139-1


5 Rezensionen

Wer in Hans Gysis Gedichte hineinsticht, wird alsbald von einem Strom von Worten fortgetragen, die, durch Klang und Bild verbunden, uns in eine farbenprächtige Welt entführen. Hans Gysi liebt die Musikalität der Sprache, geniesst den ›Groove und den Rhythmus‹, erfasst im tänzerischen Mitschwingen auch eine transzendente Dimension, eine Ahnung von Utopie. So kostet er die Sinnlichkeit der Wörter aus, würzt seine Lyrik mit ungewohnten Ausdrücken, manchmal Wortschöpfungen, bedient sich genau so locker beim gehobenen, pathetischen Stil wie bei der Umgangsprache und schreckt auch vor Häufungen nicht zurück. Im Gegenteil: Er nutzt sie, um einen rhetorischen Sog zu erzeugen, der in einem Höhepunkt kulminieren, aber auch abrupt in einer Pointe enden kann. Denn wie in barocken Gemälden neben aller Üppigkeit das Bild der Vergänglichkeit auftaucht, gehören bei Hans Gysi Skepsis, Ironie und Verkürzung als notwendiger Kontrapunkt zum wortgewaltigen Auftritt dazu. Sie lassen darin die Flüchtigkeit des Augenblicks erkennen, die Leere, die Raum für Sehnsucht schafft, aber auch Gelächter erzeugt.

Im Gedichtband Zettel und Litaneien wird dieser Kontrast Programm: in genussvollen Reihungen wird eine facettenreiche Welt heraufbeschworen, werden mit enzyklopädischem Eifer Bilder gesammelt, um im gleichen Atemzug deren Hinfälligkeit, ja Nutzlosigkeit festzuhalten. Mit Verve und Humor nimmt der Autor so unsere Verhaftung im Alltäglichen aufs Korn und lässt gleichzeitig dahinter die weiten Räume unserer Gedanken und Träume aufscheinen.

Rezensionen

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So lustvoll kann Lyrik sein

St. Galler Tagblatt / 27.04.2009

So lustvoll kann Lyrik sein: Hans Gysi, Theaterpädagoge aus Märstetten, schlägt aus den trockenen Steinen des Alltags Funken. In seinen neuen "Zettel und Litaneien" geht er durch die Stadt und über Berge und überlegt, wie man gestriger und morgiger werden könnte oder wie viel Hornhaut es braucht, um endlich eine Pfote zu wagen. Leichte Texte auf schwere Gedanken.

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Ein Mann der leisen Töne

Iris Kupecky, alpenlesen.ch / www.alpenlesen.ch

Bertold Brecht gehört zu Hans Gysis literarischen Vorbildern und seine Texte bestechen vor allem durch ihre scheinbare Einfachheit und Musikalität.

„Vor allem die Kürze, die Möglichkeiten unglaublich viel in nur wenigen Zeilen festhalten zu können und damit eine Gegenwelt aufzuzeigen, faszinieren mich an Gedichten,“ erzählt Hans Gysi. So wagte er denn auch als Jugendlicher seine ersten Versuche. Insbesondere Bertold Brecht, Thomas Mann, Ernst Jandl, Kurt Tucholsky, Gottfried Benn und musikalische Schallplatten, die ihm sein Onkel jeweils mitbrachte, beeinflussten ihn. Prosa zu schreiben begann Gysi erst später. Besonders die Melodie der Sprache durchzieht sein Werk, wie ein roter Faden. Nicht herkömmliche Versmasse, oder Reime, die er, wie er sagt, meist als ironisch-humoristisches Element verwendet, bestimmen die Form Gysis Texte, sondern die Prosodie und der natürliche Fluss der Wörter. Indes sind seine Gedichte keineswegs Texte, die laut vorgelesen werden müssen um zu wirken. „Die Mündlichkeit ist durchaus ein wichtiger Aspekt und ein Text wirkt selbstverständlich anders, wenn er laut gelesen wird. Nichtsdestotrotz handelt es sich um schriftliche Texte, die auch durch ihre Textform wirken sollen und nicht an die Mündlichkeit gebunden sind, auch wenn sie sich zum Teil am Sprechgesang orientieren.“ so Gysi. Eine weitere Möglichkeit ist die musikalische und rhythmische Unterstützung derselben, wie dies beispielsweise auf der Vernissage im Dadahaus Zürich zu seinem kürzlich erschienenen Gedichtsband ‚Zettel und Litaneien’ der Fall war. Gemeinsam mit seinem Sohn (Bass) und einem weiteren Musiker entstand eine groovige Performance, die beim Publikum auf grossen Anklang stiess.

Berlin - Zürich. Eine Bilanz.

Ein grosser Teil von ‚Zettel und Litaneien’ entstand während eines dreimonatigen Berlinaufenthalts im Jahre 2007, den er vom Kuratorium Aargau für seine literarische Leistung gesponsert bekam. „Es war eine sehr produktive Zeit, weil ich mich voll und ganz auf meine Arbeit an den Gedichten konzentrieren konnte und keine weiteren Verpflichtungen hatte. Der Kulturbetrieb in Berlin ist bemerkenswert. Täglich finden viele Veranstaltungen statt und für jeden Geschmack ist etwas dabei,“ sagt Gysi. Indes habe sich auch Zürich in den letzten Jahren rasant entwickelt und könne dem Berliner Kulturbetrieb fast das Wasser reichen. Besonders das Schauspielhaus mit Hartmann, sowie die vielen kleineren Theater in Zürich, die sich auch mit modernen und alternativen Theaterformen auseinandersetzen, seien von herausragender Qualität.

Die Menschen: geborene Schauspieler

Das Theater ist ein weiterer zentraler Aspekt in Gysis Schaffen. Nebst seiner Ausbildung zum Theaterpädagogen, steht Gysi selbst häufig auf der Bühne und führt Regie, daneben betreibt er in seinem Wohnort Märstetten das Theaterbureau, das kleinste Theater im Kanton Thurgau. „Die Theaterarbeit mit Jugendlichen unterscheidet sich eigentlich nur minimal von derjenigen mit Erwachsenen. Man muss sich vehementer Gehör verschaffen, aber sonst gibt es kaum Unterschiede. “Gysi ist überzeugt, dass jeder Mensch ein Schauspieler ist. Besonders bei Jungendlichen habe er aber beobachtet, dass manche während des Spielens zu viel denken und sich selbst dadurch blockieren. Das Theaterbureau, das ungefähr 40 Zuschauer fassen kann und in einer ehemaligen Beiz eingerichtet ist, führt in letzter Zeit vor allem Gastspiele auf, aber auch eigene Inszenierungen kommen nicht zu kurz. Die Besucher stammen vor allem aus der Region. Ein Wunsch Gysis ist es, das Theaterbureau weiter auszubauen und mehr Stücke zu inszenieren. Auch eine Fusion mit einem anderen Theater ist denkbar. Zurzeit arbeitet Gysi an einem Roman. Paul, eine Art alter Ego Gysis, beobachtet seine Umgebung und zieht seine Schlüsse. Zu viel sei noch nicht verraten, das Erscheinen des Buches ist auf nächstes Jahr angesetzt.

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Zettel und Litaneien oder am Stab der Hoffnung wandern

Erwin Messmer / orte 162/2010

Zettel: etwas Leichtes, das leicht wegflattert. Notizen, hingeworfene Einkaufszettel, Merkzettel, Wunschzettel, nummerierte Fresszettel, darunter auch ein alt chinesischer zettel mit bedenkswerten Weisheiten zum Verhältnis von Leere und Fülle. In seinen neuen Gedichten schreibt Hans Gysi Plädoyers für die Leichtigkeit, Kampfzettel gegen die Schwerkraft des Alltags. Mit supender sprachlicher Virtuosität, mit unvergleichlicher Bildphantasie und mit dem ihm eigenen Sinn für überraschende verbale Konstruktionen und Konstellationen. Mit dem Drive des Repetitiven, der den Leser sogleich in seinen Sprachsog hineinzieht. Die Zettel sind ihm stundenbücher der vergeblichkeit, sind ihm kleine helferlein bei gedächtnis- und realitätsschwund, sind die stöcklein an der hand durch den irrgarten der bekleidungsabteilung oder auch orientierungssysteme auf dem kriegspfad ins wochenende.

Unerschöpflich und unnachahmlich augenzwinkernd seine sprachlichen Hakenschläge, etwa wenn es in "zet­tel ", einem Merkzettel zum viel­fältigen Wesen schlechter Gedichte, heisst: sind zu vernachlässigen sind weder / raffiniert noch zucker, oder wenn man in "gipfel" auf die folgen­de Strophe stösst:

und es schimmelt
zwieback aus kinder
krankheitstagen
und die glücklose
familiengeschichte

Oder wenn im Gedicht "leier" die abgestorbenen blechgesichter (nein, nicht "bleichgesichter"!) beschwo­ren werden, die an ihrem schlüssel aufgezogen / so gleich / förmig tanzen.

Litaneien: Texte, die einem das Sprechen und Auswendiglernen leicht machen, Texte, die auf Wieder­holung aufgebaut sind und dadurch mit ihrer Botschaft den Sprecher oder Leser sowohl einlullen als auch tief anbohren. Es sind Litaneien des Ungenügens, der Sehnsucht - wie­derum - nach Leichtigkeit, einer, die sich mit ihrem variantenreichen Vo­kabular immer wieder subversiv ein­schleicht in die nicht selten von einer gewissen Schwermut gekennzeich­neten Gedichte. Hans Gysi ist mit seinen poetischen Vorstössen ein kreuz- und querulant, wie es in sei­nem Gedicht «merkzettel» für jeden wachen Zeitgenossen gewünscht und gefordert wird. Eine Traurigkeit, oder genauer: ein leidenschaftliches Ungenügen an den alltäglichen Verhältnissen durchzieht diesen be­merkenswert dichten Gedichtband, aber Gysis Schalk, sein Sprachwitz und seine hohe Gewichtung, die er dem Zauberwort Hoffnung einräumt (denn du wanderst an ihrem Stab) machen dieses Buch nicht nur zur literarisch anspruchsvollen Lektüre, sondern gleichzeitig, lässt man sich nur mit Leib und Seele auf sie ein, zum reinen Lesevergnügen.

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Lesung mit Musik, Radio Stadtfilter, Winterthur