Ralf Streck
Dank vieler Spenden konnte im Dezember "Widerstand braucht viele Sprachen" mit Gebrauchsgrafiken und Texten von Jürg Wehren erscheinen - Eine Sammlung mit seinen Bildern, Texten und Bildergeschichten für Kinder. Dazu kommen Beiträge aus dem Freundeskreis.
"Widerstand braucht viele Sprachen." Das ist eine Parole, die vielleicht deshalb so oft wiederholt wird, weil ihre Umsetzung so schwer fäIlt. Unter diesem Titel ist nun ein Buch erschienen. Nein, kein theoretisches Traktat, sondern es geht um einen Schweizer, der auszog und das Fürchten nicht lernte. Im Knast, einer Station auf dem Weg von Jüre Wehren, machte er sich Bilder und Schreiben als Waffe im Widerstand zu eigen. Seine "Gebrauchsgrafiken", Texte und Übersetzungen waren in seiner Lage eine Möglichkeit, um am Kampf für eine gerechte Gesellschaft beteiligt zu bleiben, wie zuvor mit seiner praktischen Arbeit und seinen Kochkünsten.
Das Buch versammelt nun für seine FreundInnen Erinnerungsstücke und lässt jene, die nicht das Glück hatten, Jüre persönlich kennen zu lernen, an seinem Leben teilhaben. Es erlaubt einen persönlichen Eindruck von einem Menschen, der sich bis zum letzten Schlag seines grossen Herzens immer da einmischte, wo er es gemeinsam mit anderen für richtig hielt.
Eigentlich war ein Katalog zu einer Ausstellung mit Linolschnitten und Plakaten geplant, die der Vorwärts im Frühjahr 2001 in der Roten Fabrik organisierte. Doch es wurde ein eigenständiges Projekt, in dem Jüres Arbeiten die Gliederung und das Format vorgaben. Um seine Plakate und Linolschnitte erfahrbar zu machen, wählte der einfühlsame Gestalter Stefan Huber ein Grossformat, um die vielen Details der Arbeiten erkennen zu können. Ausklappbare Seiten erreichen eine Grösse bis zu A3, ohne vom Buchrücken den Blick verstellt zu bekommen.
Ein Katalog barg die Gefahr, Jüres Leben auf die Bildkunst zu verengen. Er war aber stets mit all seinen Talenten aktiv, weshalb die HerausgeberInnen dafür sorgten, vielen Facetten Raum zu geben. Es wurden Texte aufgenommen, die Jüre für die WoZ verfasst hatte. In Beiträgen berichten FreundInnen über ihre Begegnungen, ihre Zusammenarbeit und ihr Zusammenleben mit ihm.
Viele Texte und Bilder sind noch aktuell. Da ist die Solidarität mit Flüchtlingen, mit denen Jüre in seinen letzten Jahren intensiv zusammengearbeitet hatte. Am eigenen Leib erlitt er die Gesundheitsversorgung im Knast. Weil sein Herzinfarkt ignoriert worden war, führte ihn sein Weg nach der Entlassung direkt auf die Intensivstation eines Spitals, wo er um sein Leben kämpfte. Die irreversiblen Schäden prägten sein Leben, haben ihn aber nicht zum Aufgeben. ihn aber mit 48 lahren früb ums Leben gebracht.
Das Buch erinnert auch an fast vergessene Kämpfe. An die Härte, mit der gegen Dienstverweigerer vorgegangen wurde. Mit zwanzig Jahren wurde Jüre, damals Abgänger des Gymnasiums in Biel, dafür von einem Militärgericht zu elf Monaten Haft verurteilt, der damals höchsten Strafe in der Schweiz für dieses "Delikt".
Als Baumaschinist verfolgte er die Befreiungskämpfe im fernen Vietnam und Uruguay genauso wie die im nahen Baskenland oder in Nordirland. Er fühlte sich auch Arbeiterkämpfen in Frankreich oder Italien verbunden. Als Arbeiter, der ein kilometertiefes Loch in den Grimsel bohrte, unterstützte er Streiks genauso wie den Häuserkampf in Zürich, wo er später lebte.
Dort wurde er 1981 mit seiner Freundin Claudia Bislin verhaftet und zu fünfeinhalb Jahren Knast verurteilt. Die beiden traf ein exemplarisches Urteil "wegen Besitz von Sprengstoff in verbrecherischer Absicht im terroristischen Umfeld". Verrat hier genauso wie bei Jüres Ausbruch aus dem Knast in Regensdorf, als er mit zwei Freunden schon auf der Mauer sass.
Die Isolationshaft förderte Jüres Beschäftigung mit Bildern. In seinem Text "Widerstand braucht viele Sprachen" beschreibt er die Entwicklung. Dem Gefangenen mangelte es an Bildern und so richte sich sein Blick nach innen. In den praktischen Ergebnissen erkannte er auch Positives im Umgang mit der Zensur: Die Bilder "waren oft eine bessere Möglichkeit", sich nach aussen zu vermitteln. "Ich lernte rasch, dass meine Wächter ihnen verständnislos gegenüberstanden, ihnen diese Ebene der Kommunikation verschlossen blieb." Mit seinen gesamten Arbeiten blieb er Teil der Bewegung draussen.
Doch diese kritisierte er auch hart. Die Texte yon "Flugblättern und Dokus" der Linken seien oft "wie Strafaufgaben" geschrieben. "In einer flachen und dürren, grauenvollen Sprache, die nichts anderes dokumentiert als eine erschreckende Entfremdung yon alIem Lebendigen." Die Bilder: "Schrott. Nicht enger verbunden mit unseren Kämpfen als das breite Grinsen der Werbespot-Hausfrau mit dem klinischen Weiss ihrer Fernsehwäsche." Das Ganze mit einer antiquierten Symbolik verquickt; geschwellte Proletenfäuste und die Darstelllung von Kapitalisten wie aus der "Mottenkiste eines Stadttheaters".
Lust werde, "spitz gesagt" als "Verdachtsmoment" gesehen, weil die Revolution schliesslich kein Spiel sei. Dort, wo die "Kämpfe schärfer sind als hier", stosse die "Kunst und Literatur auf weit weniger Misstrauen als hier". Filme, Plakate, Murales, Volksliteratur und Musik eigneten sich die Menschen im Trikont als "Teil der kämpferischen Identität" an.
Die Herausgeberlnnen Claudia Bislin, Sonja Hug, Edi Lehmann und Marc Rudin haben seine Worte ernst genommen. Seine Freundlnnen haben weder eine seelenlose Bleiwüste produziert noch Jüre in eine Schablone eines heldenhaften Widerstandskämpfers gestanzt, der hoch auf einem Sockel über den Lebenden thront. Aus verschiedenen Bruchstücken, Fotos, Zeichnungen, Drucken, Plakaten und Texten haben sie stattdessen ein lebendiges Gesamtbild geformt. Seine Gedanken und Arbeiten bleiben der kollektiven Geschichte und der Zukunft des Widerstands erhalten. Der, dessen Herz aufgab, kann selbst in den Herzen derer fortleben, die ihn nicht gekannt haben.