Nachts bin ich dein Pferd

Buch

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Aus dem Spanischen von Reiner Kornberger

Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

192 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-015-8


2 Rezensionen

In dieser Anthologie mit Kurzgeschichten beschreiben je zehn argentinische Autorinnen und Autoren die verschiedenen Variationen von Eros - Begierde und Verlangen, Macht, Machismo, Voyeurismus, Ehealltag, Exil, Repression, Sex und Frust, Machtkampf zwischen den Geschlechtern, erste sexuelle Erfahrungen, Wunsch und Wirklichkeit, Sehnsucht und - Liebe.

Die Anthologie vereint erstmals auf Deutsch Erzählungen aus Lateinamerika, in denen nicht Liebesbegehren und Beziehungsprobleme im Vordergrund stehen, sondern die Kraft des Eros mit seinen oft irrationalen und auch zerstörerischen Elementen. Die Sammlung von 21 Geschichten beschränkt sich auf die Literatur Argentiniens, da durch die Masseneinwanderung Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert hier vorhandene autochtone Elemente mit unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen aus Europa verschmolzen, was eine reiche erotische Literatur hervorbrachte. Während der Militärdiktatur 1976-83 war diese verboten - in die Texte nach 83 gehen dadurch immer unterschwellig politische Themen ein, auch belegen sie den gesellschaftlichen Umbruch von einer traditionellen Männergesellschaft zu einer Wirklichkeit, in der überkommene Rollenklischees immer radikaler hinterfragt werden.

Die argentinische Prosa enthält die Dosis an Sinnlichkeit und Sexualität, welche auch das Leben enthält, und davon zeugen diese Texte mit einer Offenheit, die man vielleicht nicht erwartet hätte. Erotik kann, wie jeder andere Aspekt des Lebens, literarisch gestaltet werden. Natürlich gibt es in diesen erotischen Geschichten ein narratives Grundmuster. Es gibt eine gemeinsame Rhetorik, Wiederholungen und Variationen, in deren Mittelpunkt die Bewegung der Körper steht und an denen die fünf Sinne teilhaben: Sehen, Tast- und Geruchssinn, Geschmack und Gehör sind, einzeln oder im Zusammenspiel, fundamental für die Definition der Gattung.

Das Erotische erlaubt und garantiert uns Ironie und Spiel, Karikatur und Perversion, die sanfte Bewegung und den Einbruch der Gewalt, den Spott und das Lachen und das Weinen. Diese Motive, die nach allgemeiner Übereinkunft als reine Gegensätze, Paradoxa, Himmel und Hölle gelten, sind so edle literarische Stoffe wie das Unglück, der Zweifel und die Grundfragen der Philosophie.

Rezensionen

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Kein plakatives Konsumangebot

Heidrun Küster / ekz-Informationsdienst

Erotische Texte im Spanischunterricht kosteten den Herausgeber offenbar seine Universitätsstelle in Bremen. Handelte es sich dabei um die hier zusammengestellten, lässt sich dieser Schritt nicht recht nachvollziehen, sind sie doch weit kühler und literarisch ambitionierter als die meisten in vergleichbaren Anthologien. Sie sind böser und düsterer als erotische Geschichten sonst, durchzogen von Momenten der Qual und Grausamkeit, mehr (selbst-)beobachtend und kunstvoll denn geniesserisch oder stimmungsvoll. Kein leichter Titel, kein plakatives Konsumangebot.

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Freiheit, Ironie und bizarre Fantasien

Cristiàn Cortéz / Radio Bremen / 20.11.2000

Im Rahmen eines Projektes an der hiesigen Universität zum Thema "Erotik und Tabu" bietet der Hispanist Reiner Kornberger einen Lektürekurs an mit erotischen Erzählungen aus Argentinien. Daraus entsteht die Idee zu einer Anthologie, die nun im Zürcher Verlag edition 8 erschienen ist. An der Bremer Uni aber wurde die weitere Beschäftigung Kornbergers eingestellt. Der Grund dafür waren anonyme Beschwerden wegen angeblich "sexistischem Unterricht". Kornberger habe "Ausspracheübungen durchgeführt, die unter anderem Geschlechtsverkehr, Gebärmutterkrebsdiagnosen und Abtreibung zum Gegenstand hatten", so die gequälte und nachweislich falsche Begründung des Rektors.

Die spanische Sprache wird ständig verändert, bereichert und erweitert durch neue Wortschöpfungen, Redewendungen und Wortspielereien, die vor allem junge Menschen mit Sprachwitz immer wieder erfinden, von Mexiko-Stadt bis Madrid, von Santiago bis Havanna. Und ob es den Sittenwächtern und selbst ernannten Kontrolleuren des guten Geschmacks an der Bremer Universität passt oder nicht: im Mittelpunkt dieser Wortschöpfungen der spanischen Umgangssprache steht nun mal der Liebesakt in allen - buchstäblich allen - seinen Facetten. Schliesslich ist Erotik nichts anderes als das körperliche Verlangen nach Schönheit. So gesehen wird sie stets ein Thema für die Kunst sein, auch für die Erzählkunst.

Ausgerechnet ein Verlag aus der sittsamen Schweiz hat nun die erotischen Geschichten auf den Markt gebracht, die jener Hispanist ausgewählt und übersetzt hat, der in Bremen Stein des Anstosses geworden war und an der Universität nicht mehr beschäftigt wird. Kornbergers Anthologie trägt den Titel "Nachts bin ich dein Pferd". Je zehn argentinische Schriftsteller und Schriftstellerinnen unterschiedlicher Generationen sind in diesem Band vertreten. Viele von ihnen wurden während der Militärdiktatur aus Argentinien verjagt, ihre Texte waren verboten. Doch selbst in jüngster Zeit sorgte die Veröffentlichung einiger der in der vorliegenden Anthologie gesammelten Erzählungen für grossen Skandal. Diese Geschichten seien "blanke Pornografie", so die empörte Kritik national-katholischer Kreise in Buenos Aires.

Diese erotischen Erzählungen aus Argentinien verblüffen durch ihre Freiheit, durch die Ironie, mit der die bizarren Fantasien geschildert werden; Fantasien, die sich als eine Art "doppelter Boden" der Alltagswirklichkeit entpuppen, als subversive Kurzschlüsse hinter einer auf den ersten Blick immer gleichen, gezähmten Realität: hier eine Busfahrt, dort ein Telefonanruf, da ein Blick aus dem Fenster. Es sind teilweise kafkaesk anmutende Geschichten, mal schillernd sinnlich, zuweilen auch köstlich obszön. Nicht Beziehungsprobleme oder gar der Geschlechterkampf stehen hier im Mittelpunkt, sondern das pure körperliche Verlangen in seiner ganzen und vielschichtigen Widersprüchlichkeit, die tiefe Sehnsucht nach Berührung: Lust, Schlaffantasie und Begehren. All dies mit einer deftigen Portion Selbstironie und Humor, ohne Erklärungen, ohne Rechtfertigungen. Dabei wird die bürgerliche Moral völlig aus den Angeln gehoben.

Ein erzählerisches Wagnis, bei dem es offensichtlich darum geht, den Leser, die Leserin zu KomplizInnen der eigenen dunklen Vorstellungen und Spiele werden zu lassen: Augenzwinkern und Geflüster, Karikatur und Perversion. Aber auch Erotik als Ort der Liebe und der Freiheit mitten im Kerker, unerreichbar für die Folterer.

Erzählerische Höhepunkte bilden vor allem jene Geschichten, die aus der Feder von Frauen stammen. Ihr Stil ist meistens konsequenter und radikaler als der ihrer männlichen Kollegen. Erotische Spannung wird von diesen Autorinnen nicht mehr in blumigen Metaphern verdichtet und verklärt. Der Reiz ihrer Erzählkunst macht viel mehr die unverblümte, direkte Sprache aus. Suggestiv unanständig beschreibt beispielsweise Susana Silvestre die Busfahrten ihrer jungen Heldin. Busfahrten voller Körperberührungen und Laszivität. Selbstbewusst und verspielt stellt die Protagonistin am Ende der Erzählung fest: "Da begriff ich schliesslich, nicht alle Männer sind gleich, und das Einzige, was ich von ihnen verlange, ist, dass sie da sind, wo sie hingehören, um mir zu dienen."