Horacios Geschichte

Buch

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Aus dem Spanischen von Peter und Ofelia Schultze-Kraft

Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

176 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-006-6


7 Rezensionen

Fontane hat mit koketter Bescheidenheit über sein Meisterwerk, den Stechlin, gesagt: „Zum Schluss stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht.“

Ähnlich knapp liesse sich der Inhalt von Horacios Geschichte wiedergeben: Ein etwas neurotischer Mann, der eine grosse Familie hat, Antiquitäten sammelt, an seinem Auto hängt, viel raucht, sich zwei Kühe hält und am Ende stirbt. Geschildert werden die letzten 20 Monate von Horacios Leben, zu dem die trivialen Unterhaltungen und Vorkommnisse des Alltags ebenso gehören wie Krankheiten und Unglücksfälle in der Familie.
Eine einfache, unspektakuläre Geschichte, die dadurch zum Meisterwerk wird, dass der Autor eine eigene Sprache gefunden hat, mit der er den Leser, die Leserin fern von den „Markenzeichen“ der kolumbianischen Literatur – dem magischen Realismus, dem miserabilismo, dem Auswalzen der Gewalt – empathisch und kompetent an seine Figuren heranführt und diese lebendig, verständlich, einmalig macht. Dabei entsteht das Porträt einer kleinbürgerlichen Familie, deren Mitglieder sehr aufeinander bezogen sind und sich unentwegt besuchen – und trotzdem einsame Menschen bleiben.

Die Hauptpersonen des Romans, die ausführlich dargestellt werden, sind neben Horacio seine Brüder Elias (ein Schriftsteller) und Alvaro (Inhaber eines Lotteriebüros) sowie ihr Schwager, der Arzt Eladio. An Horacios Seite erleben wir seine Frau Margarita und seinen Sohn Jeronimo. Aber auch sekundäre Figuren – das Hausmädchen Carlina, der Bauer Pacho, Margaritas Schwester Martica, Elias‘ Frau Beatriz, der Schieber Carenalga, der Richter Ariel, Eladios Patienten – werden mit knappen, sicheren Strichen einprägsam gezeichnet. Eine besondere Rolle spielen die von Horacio liebevoll umsorgten Kühe: In einem Buch, in dem der Tod von Anfang an präsent ist, sind diese sich ständig reproduzierenden Tiere das Symbol des Lebens.

Der Roman ist in Envigado angesiedelt, einem kleinen Ort an der Peripherie von Medellin, in den Jahren 1960/61, das heisst, an einer Zeitenwende: Es ist die Zeit der zunehmenden Industrialisierung, der beginnenden Bedrohung des ökologischen Gleichgewichts, der einsetzenden Emanzipation der Frau in Kolumbien. Es ist auch die Zeit des „Atemholens“ zwischen der politischen Violencia (1948-53) und der bevorstehenden Zerrüttung des Landes durch Guerrilla, Paramilitärs und narcotrafico. Um das Problem seines Landes zu charakterisieren, genügen dem Autor ein paar treffende Zeilen über die Untaten und das Ende einer Bande von Viehdieben, über den Verletzten aus der Bar von A-oranzas oder über die Bolivar-Statuen in den Parkanlagen. Einen Sterbenden aber in seinem letzten Jahr zu begleiten – das ist ein Thema, mit dem Tomas Gonzalez die Grenzen Kolumbiens überschreitet und in die Weltliteratur vordringt.

Herausgegeben mit Unterstützung von Litprom, Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika

Rezensionen

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Grausames, schönes Leben

Corina Lanfranchi / Programmzeitung / 5/2005

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Idylle unter Zeitdruck

Kersten Knipp / Frankfurter Allgemeine Zeitung / 11.6.05

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Vom Leben und Tod

Erich Hackl / Weltwoche / 21.7.05

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Mit den Augen der Unschuld

Ulrike Frenkel / Stuttgarter Zeitung / 22.7.05

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Lebenstrunkene Reise in den Tod

Roland Maurer / Der kleine Bund / 6.8.05

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Vom Leben und vom Sterben

Valentin Schönherr / WOZ / 18.8.05

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Tau auf den Orangenblüten

Uwe Stolzmann / NZZ / 21.9.05