Eines natürlichen Todes

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

240 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-046-2


6 Rezensionen

Mit „Eines natürlichen Todes“ legt der Schriftsteller und Publizist Manfred Züfle einen neuen Erzählband vor. Der Band enthält 20 Erzählungen und Geschichten. Die Texte porträtieren einzelne Menschenschicksale, vergegenwärtigen gesellschaftliche Entwicklungen und reflektieren geschichtliche Erfahrungen. Erinnerung, so meint Manfred Züfle, ist Wiedergewinnen der Vergangenheit, in aktueller Absicht. So zeigt er Menschen im Umbruch der Zeit, die ihren bescheidenen Platz zu behaupten suchen. Dabei gelingen ihm anrührende Porträts: Jene karg und lakonisch gewordene Frau, die ihre jüngeren Geschwister durchbringen, dann die Schwiegereltern zufriedenstellen muss; der Fuhrknecht, öffentlich kaum wahrgenommen, der mit den Kindern des Dorfs ein insgeheimes Verständnis findet und dessen Tod zum Zeichen des rasanten Fortschritts wird; der Stotterer, der sich als Künstler, als Maler, als Pfleger seiner kränkelnden Mutter eine prekäre Eigenständigkeit bewahrt. Tapfer wird er genannt, und das Wort trifft auch auf andere von Züfles Figuren zu, die sich in ihre Lage einzurichten und sich dabei eine persönliche Würde zu bewahren versuchen.

Am Einzelfall blitzt hier auf, was andere Geschichten breiter erkunden: ein soziales Umfeld, etwa die Machtstrukturen in einer Schweizer Kleinstadt. Die Schweiz ist unmittelbar Thema in einer Erzählung mit autobiografischem Hintergrund über Grossvater und Vater, die, deutschen Ursprungs, einen kritischen Patriotismus entwickeln. Dazu kontrastieren Begegnungen in Lateinamerika, wo Politik handgreiflichere, auch albtraumhaftere Form annimmt. Doch dort wie in der Schweiz werden glorios vergegenwärtigte Landschaft und Natur zum Schauplatz sozialer Auseinandersetzungen.

Ergänzt werden die grösseren Erzählungen durch kürzere Stücke, in denen knapp und sentenzenartig Haltungen und Positionen erprobt werden. Züfles Texte verbinden dabei eindringliche Anschaulichkeit mit politisch-reflexivem Blick. Sie machen soziale Verhältnisse durchsichtig und behalten doch die einzelnen Menschen im Mittelpunkt, Anteil nehmend und bewegend.

Rezensionen

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Gondelbahn im Urwald

Benedikt Scherer, Tagesanzeiger / 18.2.2004

Der Zürcher Autor Manfred Züfle versammelt im Erzählband "Eines natürlichen Todes" neunzehn Prosastücke.

Beginnen wir mit dem Guten, wofür in diesem Fall das Prädikat ordentlich eigentlich genügen würde. In Manfred Züfles bester Geschichte werden uns sieben Figuren gezeigt, die am Weihnachtsabend in einem südfranzösischen Dorf zusammen dinieren. Ihre Fröhlichkeit ist allerdings oberflächlicher Natur, ein Geheimnis, das den Einzelgänger und die drei Paare zu verbinden scheint, lässt in jedem Augenblick eine explosive Auseinandersetzung erwarten. Die schwarzen Gewitterwolken entladen sich zuletzt aber nur in einer Bagatelle. Das ist geschickt gemacht und zeigt, dass der Autor über alle narrativen Techniken verfügt, die den potenten Erzähler ausmachen.

Der Reisebericht als Manifest

Das Buch bietet eine zweite überraschende Pointe, die sich der Reihenfolge der Miniaturen verdankt. Die ersten porträtieren Menschen, meist kauziger Art. Der Autor vermeidet es tunlichst, ihre Eigenart mit seelenkundlichem Besteck wegerklären zu wollen. Was sich als methodisches Prinzip abzuzeichnen beginnt, wird freilich abrupt aufgehoben durch den Bericht eines Erzählers, der sein "psychotisches Ich" ergründen will. Er tut das unter Aufbietung aller möglichen psychologischen Erklärungsmuster freudianischer Richtung. Das ergibt einen schönen Kontrast und vermittelt eine wichtige Einsicht, jene nämlich, das sich das Eigenste eines Menschen auch mit den unterschiedlichsten Schlüsseln nicht öffnen lässt.

Damit sind wir aber auch schon beim Schlechten angelangt. Nichts gegen die kurze Form, selbst wenn sie fragmentarischen Charakter hat. Was sie alles leisten kann, weiss man spätestens seit der Moderne. Nichts auch gegen die Vermengung disparater Textsorten. Aber die Mehrzahl dieser Prosastücke wäre in der dunklen Schublade des Autors besser aufgehoben gewesen als im gnadenlosen Licht der literarischen Öffentlichkeit. Für einen Historiker, der sich auf die Geschichte Boliviens spezialisiert hat, ist es bestimmt wichtig zu wissen, welche Unruhen im Jahre 1983 das Herumreisen im Land erschwert haben; wir krisengeschüttelten Schweizer des Jahres 2004 nehmen das mit eher mildem Interesse zur Kenntnis.

Dass es im Urwald Costa Ricas eine den Baumkronen entlanglaufende Gondelbahn gibt, mag ein kurioses Faktum sein. Wenn es dem Leser aber als blosse Mitteilung präsentiert wird, ohne den Willen zu einer wie auch immer gearteten Form, dann ist das schlicht und einfach keine Literatur.

Dieser Reisebericht gibt sich den Todesstoss übrigens auch dadurch, dass er von Anfang bis zum Ende als Manifest fungiert: Für den Schutz der Tropenwälder sind sowieso alle, und die Möglichkeit zur freien Selbstbestimmung jedes Individuums liegt uns seit Menschengedenken am Herzen. Aber auch wo der Autor mit Jahrgang 1936 zum fiktionalen Erzählen zurückfindet, bewegt er sich in Klischees. Kaum wird ein Stadtpräsident, der den Bürgern durch sein windiges Treiben einigem Wohlstand verholfen hat, durch einen Neuling ersetzt, dessen Rechtsempfinden ausgeprägter ist, so stirbt dieser eines höchstwahrscheinlich unnatürlichen Todes. Das war nämlich immer schon so, es wird auch noch lange so bleiben.

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Des Aufbewahrens wert

haste / P.S. / 18.4.04

Nach mehreren Rezensionen, auch Verrissen, las ich das Buch. Gern. Abgesehen von einer etwas gar langen, für mich belanglosen Provence-Reminiszenz. Kiesgruben der Kindheit oder die Szenerie in und um Zug, selbst wo sie karikiert ist, heimeln mehr an. Abstecher nach Bolivien und Costa Rica, wo Manfred Züfle das befreiungstheologische Widerstandsnest von Franz J. Hinkelammert besuchte, sind spannend. Doch auch wo deren Status bescheiden, ihr Auftritt kurz ist: Alle porträtierten Personen sind mit klaren Konturen versehen. Sogar kleine Krimis werden mitgeliefert. Und zum Schluss wird es auf einem Friedhof fein bunt, eine Beerdigurig geht lustig schwarz über die Bühne. Das ergibt beinah einen Bogen. Einmal geht es um Briefe, die über viele Jahre hinweg in einer Hängeregistratur abgelegt waren. So wirken die Texte im Buch. Was sich halt unter "Verschiedenes" ansammelt im Leben, schwer einzuordnen, aber des Aufbewahrens wert. (haste)

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Kein bisschen weise

Rolf Bossart / Vorwärts / 20.1.04

Rolf Bossart. Manfred Züfle, ehemaliger Präsident der unlängst unnatürlich verstorbenen Gruppe Olten, und in den letzten Jahren vor allem mit Essays und Vorträgen in der Öffentlichkeit präsent, hat in der edition 8 einen Erzählband vorgelegt. "Eines natürlichen Todes" ist ein heilendes Buch; Haltungsturnen für linke Köpfe.

Wie man das eigentlich macht, ein Linker zu bleiben, ein Leben lang. Festzuhalten an dem, was Veränderung wirklich bedeutet, während rundherum Veränderung nur noch Festhalten bedeutet. Wie das denn eigentlich geht, dass einer nicht mit dem ständigen Ungenügen von allem und allen abtaucht in Resignation und Zynismus. Und vor allem, dass einer nicht Tod, Trennung und schwere Krankheit, politische und persönliche Enttäuschung als Beweis nimmt für Aussichtslosigkeit, Katastrophenlogik und Schicksalsmacht.

Da ist einer, der mit Ernst Bloch schon immer gewusst hat, dass auch enttäuschte Hoffnung noch Hoffnung bleiben kann. Da ist einer, der gelernt hat, das Aufgeklärte, und nicht zuletzt sich selber, immer aufs Neue wieder über sich selber aufzuklären. Da ist einer, der von der "religiösen Notdurft" (Marx) mindestens soviel ins eigene Wissen überführt hat, dass da schon einmal einer Brot verteilt hat, das für alle reichte.

Da ist schliesslich und vor allem einer, der es immer und überall genau wissen will und doch auch mit dem Alter noch kein Weiser ist, weil er weiss, was er weiss und den weisen Rat des Sokrates, man solle nur wissen, dass man nichts weiss, als Lebenslüge für diejenigen entlarvt, die denken, dass man sowieso nichts wissen könne. ("Dass einer im Alter weise werde, ist wohl nichts als eine bösartige Wunschvorstellung der Jüngeren.")

So einer hat jetzt einen neuen Erzählband veröffentlicht. Endlich ist von so einem wieder mal ein neues Buch erhältlich. Und was stehen da für Sätze drin?

"Damals konnte man auf diese Weise noch unverfänglich lernen, was das ist, ein Knecht. Man blieb auch davor verschont, sich die Frage zu stellen, warum es Knechte gebe." - Jetzt wechselte die Anrede der Cochabambinos, Hermanos hiess es jetzt, Brüder, nicht mehr Genossen. " - "In diesem dichten Netz des Sagens und Schweigens besass sie eine eigentümliche Macht." - "Da war eine, die euer Glück nicht mehr mochte, weil sie es kannte." - "Es war zum verzweifeln, nichts schien letztlich nicht zu stimmen."

Der dies schreibt, ist Manfred Züfle, Autor, Kulturkritiker, Marxist, Freudianer, begnadeter Lehrer und Vortragskünstler und deshalb keiner, der in der Literatur an die Unmittelbarkeit des authentischen Ausdrucks glaubt, obwohl er solches in den Texten suggeriert. Denn wie lakonisch auch immer Züfle die Sätze baut, wie salopp sein Konjunktiv der indirekten Rede und des inneren Monologs auch daher kommt, nur schlecht wird darin kaschiert, dass da einer Bescheid weiss, dass da ein "Aufdecker" am Werk ist wie in der spannenden Erzählung "Wie mörderisch ist denn Gnade" oder dass da einer den Kern gesehen hat, wie im Kernstück dieses Bandes: "Der Kern". Diese Doppelstruktur in Züfles literarischen Werken hat ihm auch schon den Vorwurf eingebracht, er sei zu intelligent zum Schreiben. Schon eher aber weiss er zuviel. Zum Beispiel, dass der aktuell so beliebte sogenannt unbedarft phänomenologische Blick jenen Neonaturalismus hervorbringt, an dem mehr ideologischer Schein klebt als noch an der verbissensten weltanschaulichen Konstruktion früherer Zeit. An Züfles Texten wird deutlich, dass das Realistische heute konträr zur reinen Beobachtung herausgearbeitet werden muss. Dass sie zuweilen deshalb als Geplante beziehungsweise Geformte kenntlich sind, ist eben ein Einspruch gegen die unerträgliche Leichtigkeit artifiziellen Seins. Züfles Texte sind seinem oft unerträglich klaren Wissen abgerungen. Sich stemmend gegen die drohende Vergeblichkeit der Geschichte, sind es Geschichten, die aufspüren, aufklären, aufdecken, aufbrechen, sich fragen, sich vergewissern, ob da nicht was war, ob da nicht noch was hätte sein können.

Manfred Züfles knappe Berichte von Lebensläufen (diese überraschenden und allerfeinsten Frauengestalten) erinnern denn auch nicht nur in den Schauplätzen, sondern auch im Ansinnen an Freuds "Studien über Hysterie" und an die Erkenntnis, die Freud anhand der Patientin Lucy R. formuliert hatte: "Ich beschloss, von der Voraussetzung auszugehen, dass meine Patienten alles, was irgend von pathogener Bedeutung war, auch wussten, und dass es sich nur darum handle, sie zum Mitteilen zu nötigen." Züfles Figuren sind nicht seine Patienten, aber gleichwohl nötigt er sie zur Mitteilung ihres Wissens, das tiefer geht als das, was andere von ihnen wissen, und das hat immer wieder denselben Namen: Unbeirrbarkeit. Und von wo aus und für wen solches pathogen ist, ist dann überhaupt noch nicht ausgemacht.

Und so steht es programmatisch und in unübertroffener Klarheit in der Erzählung "Der Kern": "Jetzt wagte er es, den Kern zu sehen, zu seinem Kern hinunterzusteigen, die Erfahrung des Unerfahrbaren für sich selbst zu erzwingen. ( ... ) Er lachte herzlich und meinte, worum es ihm einzig gehe, sei die plötzliche Einsicht in eine riesige Verkettung; und es sei für ihn " gut", das alles endlich zu wissen. Er wurde nicht müde, geradezu beschwörend das Gute an solchem Wissen zu betonen."

Damit ist viel gesagt, mehr als manche wissen wollen. Aber das reicht noch nicht, ist noch nicht alles, da ist noch mehr drinnen und noch mehr draussen. Also mehr wissen, weiterdenken, weiterlesen, alles lesen.

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Nicht für die Ewigkeit

Fredi Lerch / WOZ / 22.1.04

Nach 1998 wollte ihn der Buchmarkt nicht mehr. Dann wollte ihn der Tod nicht. Jetzt legt Manfred Züfle neue Erzählungen vor.

Um Manfred Züfle - den Präsidenten der Gruppe Olten zwischen 1991 und 1995 - ist es jahrelang still gewesen. Seit seiner Bruder-Klaus-Erzählung «Ranft» und der Essaysammlung «Der bretonische Turm» (beide 1998) erschien kein Buch mehr von ihm. Zu lesen war er seither nur noch als Publizist, auch verschiedentlich in der WOZ. Man wusste: Züfle schreibt auch als Schriftsteller weiter. Aber man wusste auch: Er hat keinen Verlag mehr. Er schrieb zwei Romane für die Schublade («Mittelland» und «Ein Auftrag von H»), einen Gedichtband («Apokalypse und später») und Erzählungen unter dem Arbeitstitel «Ein Mord, der keiner hatte sein sollen» (vgl. www.zuefle.ch).

Dann, ausgerechnet am 11. September 2001, trifft den damals 65-Jährigen als persönliche Katastrophe die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Operation, zwei Jahre lang Chemotherapie. Heute bezeichnet er sich als geheilt, allerdings bleibe «ein Verdachtsrest». Die Erfahrung der letzten zwei Jahre wolle er zu einem «grossen Roman» verarbeiten («Zuger Presse», 12. 12. 2003). Heute gibt es einen neuen Manfred Züfle: Statt des Schüttelns der angegrauten Mähne und des wilden Barts sieht man jetzt das haarlos-schalkhafte Gesicht, wenn er zu seinem herzlichen Lachen ansetzt.

Und nun ist er auch als Schriftsteller zurück. Unter dem Titel «Eines natürlichen Todes» hat Stefan Howald in der edition 8 neunzehn Erzählungen und Geschichten herausgegeben. Das Buch, dessen Verfasser sich im Klappentext als «ein von Christlichem geprägter Freudo-Marxist» bezeichnet, lädt darin unter verschiedenen Aspekten zu einer Reise ein.

Zum Ersten bietet Züfle eine geografische Reise. Sie führt aus der Region Zug, wo er aufgewachsen ist, und seiner heutigen Lebenswelt Zürich über die Provence, wo er immer wieder Schreibaufenthalte verbringt, nach Süd- und Mittelamerika, das er bereist hat. Damit ist gesagt: Züfle ist nicht einer, der ins Blaue hinaus fiktioniert, sondern einer, der sich auch schon öffentlich gefragt hat, «ob ich je etwas erfinde und was das - wenn nicht - hiesse» (WOZ Nr. 8/94). Vermutlich heisst das, dass seine Art, Geschichten zu erzählen, stark an das autobiografisch Erfahrene zurückgebunden ist und bleibt.

Zum Zweiten verführen die Erzählungen zu einer Zeitreise. Einerseits schöpft Züfle aus den Erinnerungen seiner Kinder- und Jugendzeit - etwa wenn er Hägi, dem Knecht des Fuhrhalters «während des Kriegs», ein Denkmal setzt; wenn er Fridel, seinen Vater, als «passionierten Kenner der Schweizergeschichte» porträtiert oder in der Titelgeschichte «Eines natürlichen Todes» das selbstbewusst-eigensinnige Sterben einer alten Frau beschreibt. Andererseits führt er uns in Costa Rica ins Arbeitszimmer des befreiungstheologisch inspirierten Ökonomen Franz J. Hinkelammert («Gespräche in Sabanilla») oder in die heutige Stadt Zug, wenn er sich vom real mysteriösen Tod eines Zuger Stadtpräsidenten zu einer bösen Abrechnung mit dem Steuerparadies inspirieren lässt («Wie mörderisch ist denn Gnade»).

Eine Reise ist dieses Buch drittens durch die Kurzprosa-Schriftstellerei. Der Bogen spannt sich von Porträts über kurze parabelartige Stücke und Kriminalgeschichten bis zur reportagenahen Reiseschriftstellerei. Der «Druckhinweis» am Schluss des Bandes bestätigt, dass Züfle nicht für die Ewigkeit schreibt, sondern dass seine Texte häufig einen kurzfristigen publizistischen Gebrauchswert haben. Dieser Anspruch an die eigenen Texte verweist darauf, dass er auch als Erzähler ein Intellektueller bleibt - ein, wie Howald an der Buchvernissage gesagt hat, mit seiner Arbeit «praktisch werdender Analytiker und Kritiker».

Nicht zuletzt dass diese Erzählungen mit dem Tod immer wieder eine zentrale Schnittstelle von sozialem und existenziellem Leben umkreisen, macht sie aber über den publizistischen Alltag hinaus lesenswert und bedeutend.

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"Ich finde, der Tod ist ein Skandal"

Franziska Meier / Zuger Presse / 12.12.03

Porträts, Politisches und, Philosophisches: Soeben ist das neue Buch des Baares Manfred Züfle erschienen

Manfred Züfle legt mit "Eines natürlichen Todes" ein anregendes Werk vor. Ein wichtiges Thema der 19 Erzählungen sind Sterben und Tod. Der Schriftsteller war diesem während der letzten zwei Jahre nahe.

Zuger Presse: Manfred Züfle, der Titel Ihres neuen Buches "Eines natürlichen Todes" drängt die Frage richtiggehend auf. Es heisst, Sie hätten Krebs - wie haben Sie die Zeit der Krankheit erlebt?
Manfred Züfle: Es war an jenem denkwürdigen 11. September 2001, als mir mitgeteilt wurde, dass ich Lymphdrüsenkrebs habe. Und am Tag, als ich erstmals mit dem Chirurgen sprach, der mich drei Tage später operieren sollte, wurde in Zug das Attentat auf den Kantonsrat verübt. Ich nahm diese Katastrophen wahr, aber natürlich waren sie bei mir überlagert von der eigenen Katastrophe. Das hatte etwas Groteskes. Nach der Operation war ich fast zwei Jahre lang in Chemo? und Bestrahlungstherapie. Da ist man nur noch eine chemische Fabrik.

Und wie geht es Ihnen heute?
Ich bin geheilt, doch ein Verdachtsrest bleibt übrig. Ich habe mich durch die Chemotherapie natürlich verändert, habe keinen Bart und keine langen Haare mehr wie früher. Mir wurde gesagt, ich würde deswegen ein Imageproblem haben. Doch das habe ich hinter mir. Meine Lebenspartnerin und auch andere Menschen sagten mir, ich sähe viel besser aus, nun sähe man mein Gesicht (lacht).

Sie dürften sich intensiv mit dem Tod auseinander gesetzt haben.
Ja, das habe ich. Und das geht natürlich auch weiter, denn die Furcht vor dem Tod hört nicht auf. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich leben kann, dass es mir gut geht, dass es schön ist auf dieser Weit. Ich bin aber nicht abgeklärt in dieser Hinsicht: Ich finde, der Tod ist ein Skandal.

Ein Skandal?
Aber sicher. Man sagt immer, das Leben hätte keinen Sinn, wenn es nicht endlich wäre. Dennoch habe ich den Wunsch, nicht sterben zu müssen. Und da bin ich nicht allein, dieser Meinung waren zum Beispiel auch Adorno oder Marcuse. Ich könnte natürlich auch theologisch werden und sagen: Der Kreuztod symbolisiere Erlösung, aber in Wirklichkeit ist er auch ein grauenhafter Skandal. Als meine Frau im Mai 1982 von einer Sekunde auf die andere starb, wie hätte ich da anders reagieren können als mit: Das darf doch nicht wahr sein!

Der Tod taucht in Ihrem Buch immer wieder auf. Obwohl Sie einen Teil der Erzählungen vor ihrer Krankheit geschrieben haben.
Ich habe zwar viele dieser Texte geschrieben, bevor ich Krebs bekam, aber ich habe sie für die Publikation überarbeitet, ich wollte auch jetzt dazu stehen können. Deshalb habe ich den Titel "Eines natürlich Todes" gewählt. Es ist der Titel einer der Erzählungen, und er ist für mich mehrfachsprechend, denn tatsächlich kommt der Tod in fast allen Texten vor. Ich bin aber natürlich auch dran, über den Tunnel dieser letzten zwei Jahre, über diese Erfahrungen, zu schreiben. Das gibt einen grossen Roman.

Sie bezeichnen sich auf dem Buchumschlag als von "Christlichem geprägter Freudo-Marxist". Sozialkritik prägt denn auch einige Ihrer Texte. Manche Leute nehmen es aufs Alter hin ruhiger. Das ist bei Ihnen offenbar nicht der Fall?
Nein, ich werde aufs Alter hin immer radikaler. Mit der Wahl Blochers in den Bundesrat sowieso. Dieser Mann ruft ständig den Lieben Gott an, doch das ist definitiv ein anderer Gott als meiner. Dass die Frauen eine derartige Abfuhr erhalten haben, das ist zum Kotzen. Das Schweizer Patriarchat ist fürchterlich.

In Ihren Erzählungen taucht viel Zugerisches auf, Orte und Ereignisse, die in Ihrem Leben wichtig waren. Inwieweit ist das Buch autobiografisch?
Die Antwort auf eine solche Frage ist immer sehr schwierig. Ich habe wohl noch nie etwas erfunden, vielmehr gefunden. Das heisst aber nicht, dass ich Geschichten aus dem Leben einfach abschreibe. Ich mache daraus eine Fiktion, und meine Ichs sind immer fingierte Ichs. Mit einer Ausnahme: In "Ein passionierter Kenner der Schweizer Geschichte" erzähle ich wirklich aus meiner Familiengeschichte, von meinen Vorfahren väterlicherseits, die zwar aus Deutschland kamen, aber letztlich meinen Begriff von kleinbürgerlichen Schweizer Patrioten mehr prägten, als dies ein Schweizer vermocht hätte. Bei ihnen erfuhr ich eine tiefe Liebe zur Schweiz.

Interview: Franziska Meier


Eindringliche Momente des Lebens präzise skizziert

Die Frau, die "Eines natürlichen Todes" stirbt - so weit der Titel einer Erzählung in Manfred Züfles neuem Buch ?, diese Frau war am Sterbebett ihres Vaters dazu verpflichtet worden, die Familie zu unterstützen und insbesondere deren Ehre aufrechtzuerhalten. Diese ambivalente Aufgabe trägt sie ihr ganzes Leben mit sich herum, bis sie sich schliesslich im Alter mit ihrer Vergangenheit versöhnt und sanft stirbt.

Die titelgebende Erzählung ist einer jener Texte Züfles, die sich eines fiktiven Menschen annehmen, ihn porträtieren, ihn in seine Vergangenheit und Familiengeschichte zurückbegleiten und eindringliche Momente in dessen Leben skizzieren, behutsam und präzise. Auch wenn der Schriftsteller den Tod als Skandal bezeichnet (siehe Interview), ist dieser mehrmals versöhnlich, manchmal auch mit einem Augenzwinkern dargestellt.

Manfred Züfle, der 1936 in Baar geboren wurde, der heute in Zürich lebt und sich als freier Schriftsteller und Publizist betätigt, versammelt in seinem neusten Werk 19 Erzählungen und Geschichten, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Die Figuren, sowohl Ich- als auch Er-/Sie-Form, leben oder bewegen sich in der Schweiz in Frankreich oder in Lateinamerika. In "Gespräche in Sabanilla" kommt Züfles Sozialkritik zum Tragen. Für ein Gespräch in San José, Costa Rica, verwebt der Schriftsteller Politik (Krieg), Wirtschaft (Kapitalismus, Globalisierung), Befreiungstheologie, Philosophie und Psychoanalyse zu hoher Dichte. Auch Zug geht nicht ohne Kritik aus. In "Wie mörderisch ist denn Gnade" nahm der Schriftsteller den realen Tod eines Zuger Stadtpräsidenten und die sich darum rankenden Gerüchte zum Anlass für eine Geschichte, die heftige Kritik am Steuerparadies übt. Ohne Ortsnamen zu nennen, sind verschiedene Zuger Gemeinden erkennbar. Die Leserin, der Leser wird zu einer Baarer Kiesgrube oder zum Zuger Seeufer mit seinen berühmten Sonnenuntergängen geführt. Zwischen die längeren Erzählungen sind kürzere und kürzeste, teils philosophisch angehauchte Stücke eingestreut: Ein Dichter schlägt sich mit dem Wahnsinn herum, ein Mann spricht mit seiner Seele, und das Märchen von Hänsel und Gretel dreht sich neu um den Begriff Heimat. (FM)

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Rede an der Vernissage

Stefan Howald / 12.11.03

Wir freuen uns, heute Abend so viele Literarurfreunde begrüssen zu dürfen, hier im Kreis 5, wo er noch nicht ganz zum neumodischen Züri West geworden ist. Es verspricht ja auch, ein lohnender Abend zu werden.

Und zwar wegen dieses Buches, frisch ausgeliefert, 19 Erzählungen und Geschichten von Manfred Züfle. Eine trägt den Titel "Ein passionierter Kenner der Schweizergeschichte". Manfred Züfle berichtet darin vor autobiografischem Hintergrund über Grossvater und Vater deutschen Ursprungs, über ihr kritisches Verhältnis zur Schweiz, zu Heimat und Patriotismus. Der Titel trifft auch auf Manfred zu. Er ist ein Kenner, und er ist passioniert. Zudem steht die Schweiz im Mittelpunkt etlicher Veröffentlichungen von ihm. Unbedingt hinweisen möchte ich auf "hast noch söhne ja" (1991), eine höchst originelle, anregende Schweizergeschichte von unten, beziehungsweise eine Geschichte über den Ort, den die Jugend in der Schweiz hat oder sucht, und wie mit ihr umgegangen wird.

Die Schweiz, das ist ein langwieriges Thema. Zuweilen wird sie auch zum langweiligen Thema deklariert. Müssen wir uns weiter mit ihr beschäftigen? Ja und Nein. Nein, wenn es zur weinerlichen Nabelschau, zum negativ gewendeten Sonderfall wird. Ja, als Blick auf die Schweiz in der Welt. Der hier vorliegende Band vollzieht die letztere Bewegung nach. Er setzt ein mit Geschichten, Porträts aus der Schweiz, wendet sich nach Frankreich, dessen republikanische Tradition die Texte anders einfärbt, dann nach Lateinamerika, in die Dritte Welt, wo Erfahrungen, Konflikte härter sind, um wieder in die Schweiz zurückzukehren.

Manfred Züfle hat sich gelegentlich in die Formel gefasst: "ein von Christlichem geprägter Freudo-Marxist". An der Formel scheint mir die Verknüpfung unterschiedlicher Elemente aufschlussreich. Tatsächlich brauchen wir ja zunehmend das Komplexe, auch Überraschende. Ich habe schon einmal das Vergnügen gehabt, einen Band von Manfred Züfle herauszugeben: "Der bretonische Turm" (1998) hiess er und versammelte Essays zur Macht- und Kulturkritik. Darin ist die intime Kenntnis von Freud, Marx und Christentum unmittelbar sichtbar. Erinnert sei auch an "Ranft", einer kritischen Analyse über die psycho-soziale Bedeutung des Heiligen Niklaus von Flüe (1999). Das christlich Geprägte steht da in einer klaren Perspektive. Kurz vor den Nationalratswahlen hat beispielsweise die SVP versucht, Niklaus von Flües Wort, "machet den Zaun nicht zu weit" für ihre Sache einzuspannen. Bei Manfred lässt sich nachlesen, warum das eine Verfälschung ist.

Im vorliegenden Band sind solche Elemente unaufdringlicher, indirekter vorhanden. Eine Geschichte wie "Der Kern" ist durchdrungen von freudschem Wissen, und bleibt doch vorrangig die Erzählung eines menschlichen Verhängnisses. Auch das Christliche kommt vor, muss sich die Frage gefallen lassen, Wie mörderisch ist denn Gnade. Sogar der Tod taucht auf, oder Tode, mehrfach, schon im Haupttitel. Das Existentielle verknüpft sich darin mit dem Sozialen. Das ist die Stärke dieser Texte. Sie halten vielfältige Aspekte zusammen, ohne den einen auf Kosten der andern preiszugeben.

Das ist auch die Stärke von Manfred Züfle. Er ist Schriftsteller, Publizist, Intellektueller. Das Wort Intellektueller hat gegenwärtig nicht den besten Klang. Einige intellektuelle Schaumschlägereien haben dazu beigetragen. Bei Manfred lässt sich sehen, was der Intellektuelle ist: Der praktisch werdende Analytiker und Kritiker. Praktisch ist seine analytische Arbeit etwa als Präsident und zeitweiliger Sekretär der ehemaligen Gruppe Olten geworden, als Lehrender und Lernberater, als Vortragender, der der Zürcher SP die Genossin Rosa Luxemburg an Herz und Verstand zu legen versucht.

Nun stösst die Form des Intellektuellen zuweilen an ihre Grenzen. Anfang des Jahres habe ich eine kleine Meinungsverschiedenheit mit Manfred gehabt, über die Notwendigkeit, sich als Intellektueller gegen die amerikanische Intervention im Irak zu äussern. Ich vertrat damals die vielleicht frivole Meinung, die Intellektuellen könnten das für einmal den Massen auch junger, gerade junger Friedensbewegter überlassen. Ein Intellektueller zu sein, ist ja eine Funktion, kein Wesenszustand: Einer, der intellektuelle Fähigkeiten in entsprechenden Situationen einsetzt. Deshalb trifft es sich gut, dass Manfred Züfle nicht nur Intellektueller, sondern auch Schriftsteller ist. "Nicht nur, sondern auch", sage ich und möchte das nicht als Hierarchie des einen über das andere verstehen. Denn die Funktionen gehen ineinander über. Manfred ist ein intelligenter Autor und ein sprachbegabter Bürger.

In dem jetzt vorliegenden Band präsentiert er sich als Schriftsteller. Natürlich hat seine Schriftstellerei ihren sozialen und historischen Ort. In den "Kellergeschichten - Roman eines Hochhauses" (1983) wurden die fünfziger und frühen sechziger Jahre eingefangen, in "Der Scheinputsch" (1989) die achtziger Jahre. In beiden überzeugte die Verbindung von eindringlicher Anschaulichkeit und politisch-reflexivem Blick.

"Eines natürlichen Todes" verdeutlicht diese Stärke erneut. Der Band enthält wunderschöne, anrührende Porträts von Menschen, die zugleich den Umbruch der Zeit veranschaulichen. Er enthält scharfe Skizzen, ausholende Beschreibungen und hintergründige Reflexionen. Sie werden das gleich selber hören.

Manfred Züfles Buch ist bei der edition 8 erschienen. Es muss wieder einmal gesagt werden: Die edition 8 ist ein kleiner, aber wirklich feiner Verlag. "Eines natürlichen Todes" ist gediegen gestaltet, mit Liebe zum Detail. Ich möchte, nur als Beispiel, auf das Lesebändchen hinweisen, das geradezu als Markenzeichen einer Lesekultur dienen kann, die Form und Inhalt nicht auseinanderklaffen lässt.

Aber genug der fremden Worte. Lassen wir jetzt Manfreds eigene Worte sprechen. Und lassen wir Musik dazu sprechen.