Die Villa

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

224 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-113-1


3 Rezensionen

Eigentlich, denkt Viola, sei sie ein glücklicher Mensch. Als tüchtige Verkäuferin in einem Möbelgeschäft von ihren Vorgesetzten geschätzt, eine Wohnung in ruhiger Lage am Stadtrand, eine hübsche, elegante Erscheinung, Sinn für Schönheit: Was will sie mehr? Und doch: Als sie aus Interesse an einer Weiterbildung Dr. Schenkels „Akademie“ aufsucht, verlässt sie diese nach einer ersten Behandlung erschüttert und aufgewühlt.

Eine verborgene Seite ihrer Persönlichkeit ist zum Vorschein gekommen, die zunächst unbestimmte Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Leben. Sie lässt sich – zugleich angezogen und abgestossen von Schenkel, einem Guru und selbst ernannten Therapeuten – auf diesen ein, nimmt an Gruppenabenden teil, wird gar eine seiner Assistentinnen und praktiziert dessen zweifelhafte Heilmethoden. Vereinnahmt, zweifelnd, geködert mit Komplimenten und konfrontiert mit ihrer eigenen Orientierungslosigkeit, steht sie vor der Aufgabe, im Gestrüpp der Ansprüche und Lebensentwürfe von aussen ihren eigenen Weg zu finden.

Elisabeth Jucker greift in ihrem neuen Roman ein aktuelles Thema auf: das weite Feld, das sich zwischen alternativen Therapien und Esoterik auftut, und die Anziehungskraft sinnverheissender Lehren. Mit kühler Präzision schildert sie Violas Pendeln zwischen der rationalen, gestylten Welt des Möbelhauses und dem schmuddligen Zauber der Villa, in der sich Dr. Schenkels Zirkel trifft; nüchtern und trotzdem mit Sinn fürs Geheimnis lässt sie etwa auch einen Astrologen oder einen philippinischen Heiler auftreten; behutsam und ohne anzuprangern legt sie Violas Gefühlswirren offen, das Schwanken zwischen Hingabe und Selbstbehauptung, Faszination und Desillusionierung.

Rezensionen

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Die Gefahren der Abhängigkeit

Heinrich Boxler / Bücherpräsentator

Elisabeth Jucker ist 1954 geboren und lebt in Wettingen. Sie ist ausgebildete Fotografin, war eine Zeit lang Flight Attendant und arbeitet heute als Erwachsenenbildnerin. Bisher hat sie zwei Bücher publiziert, nämlich im Jahr 2000 „Gestern brennt“ und 2003 den Roman „Übers Meer“.

Im neuen Roman „Die Villa“ steht Viola im Zentrum, eine Frau, die, ähnlich wie die Autorin, verschiedene Berufswechsel hinter sich hat. Viola war ursprünglich Hochbauzeichnerin und arbeitet nun als Beraterin in einem Möbelgeschäft. Ihr Ziel ist es aber, im therapeutischen Bereich tätig zu sein. Als Ausbildungsstätte hat sie die Akademie von Dr. Konrad M. Schenkel gewählt, von der sie in einem Zeitungsartikel gelesen hat. Erwartungsvoll betritt sie den leicht vergammelten Park, in dem seine Villa steht. Die erste Begegnung mit dem Heiler fällt anders aus, als es Viola erwartet hat. Schenkel duzt Viola. Sie ist irritiert, obwohl sie von Dr. Schenkels Methode im Zeitungsartikel gelesen hat. Er spricht von mindestens 5 Behandlungen und lässt sich diese im Voraus bezahlen.

Viola weiss nicht recht, worauf sie sich da eingelassen hat, als sie sich ausziehen soll und Dr. Schenkel nur mit einem Lendenschurz bekleidet die Therapie beginnt. Sie soll nicht reden, sondern fühlen. Rasch merkt sie, dass ihre rationalen Fragen, die sie zu stellen sich vorgenommen hat, fehl am Platz sind. Sie erschrickt, als er mit der einen Hand ihren Bauch, mit der andern ihre Stirn berührt. Rasch durchflutet sie körperlich ein Gefühl wohliger Entspannung, während in ihrem Inneren ein wildes Chaos wütet. Sie weiss nicht, wie ihr geschieht, und doch geht sie getröstet und gestärkt aus der Villa.

Bereits liegen fünf Behandlungen hinter Viola. Die Fragen von Dr. Schenkel erschrecken sie oft. Dennoch geht sie jeweils beruhigt heim. Schliesslich erklärt er sich bereit, Viola in die Akademie aufzunehmen. Was in der Gruppe geschieht, nimmt immer stärker sektiererische Züge an. Die Mitglieder finden sich nackt oder höchstens mit einem Lendentuch bekleidet ein und gehorchen den Befehlen Dr. Schenkels. Er hat für die Sitzungen ein eigenes Zeremoniell entwickelt. Die Nacktheit soll absolute gegenseitige Offenheit der Teilnehmer garantieren. Sie müssen sich tief in die Augen blicken und dabei ihr Innerstes preisgeben. Bei den gemeinsamen Atemübungen entdeckt Viola, dass sich die Welt um sie zu bewegen und zu beleben beginnt. Und weil diese Erfahrung Dr. Schenkel begeistert, gibt sie gleich noch eins drauf, indem sie zusätzliche Geistwesen wahrzunehmen vorgibt. Immer weniger kann sie sich dem Einfluss des Meisters entziehen. Auch wenn sie manchmal eine plötzliche Wut über seinen Anspruch des Alleinherrschers befällt, wird sie schliesslich seine Assistentin und fühlt sich durch diese Vorzugsbehandlung geehrt.

Der Zufall will es, dass Viola im Möbelgeschäft die Steuerberaterin Renate Schenkel kennen lernt, die nach 25 Ehejahren ihren Mann verlassen hat und ihre Wohnung neu einrichten will. Bald einmal ahnt Viola, dass es sich um die Gattin Dr. Schenkels handeln muss. Es bleibt nicht bei diesem einen „Zufall“. Frau Schenkel ist verliebt in Joe. Aber so heisst auch ein Freund Violas, der sich wegen einer andern Frau von ihr zu distanzieren beginnt. Immer stärker sehen sich die Lesenden einem Dunstkreis von Personen gegenüber, in dem die Beziehungen kreuz und quer verlaufen und in dem sich laufend neue Konstellationen herausbilden. Es kommt zu Eifersüchteleien, zu Zusammenbrüchen, zu Erfahrungen mit Drogen und schwarzer Magie. Ein ehemaliger Freund taucht bei Viola auf und nutzt sie schamlos aus. Sie besteht auf klaren Vereinbarungen und wird doch jedes Mal schwach, wenn er in ihr Bett schlüpft. Auf ihrem Weg zur Selbstbefreiung entwickelt sie immer neue Lebensentwürfe. Unter anderem träumt sie von einem Ménage à trois mit zwei andern Frauen.

Mehrmals pro Woche findet sich Viola in der Villa von Dr. Schenkel ein. Daneben bieten sich ihr Aufstiegsmöglichkeiten im Möbelgeschäft, die allerdings erdauert werden müssen. Der langsame Zerfall Dr. Schenkels unter dem Einfluss von Alkohol öffnet Viola neue Perspektiven.

Der Roman zeigt die Gefahren der Abhängigkeit auf, die ein therapeutisches Verhältnis in sich birgt und bei Dr. Schenkel sektenhaft Züge annimmt. Gleichzeitig wird der mühsame Weg einer Frau nachgezeichnet, die zu sich selbst kommen will. Die Autorin weist auf Schmarotzer hin, denen eine Frau ausgesetzt ist und denen sie offenbar leicht erliegen kann. Glaubwürdig schildert sie das Verhalten eines kleinen Kindes.

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Sinn-Suche

Helga Köbler-Stählin / Mannheimer Morgen / 10.8.07

Früher gabs das nicht. Hierzulande lebte man nach der Christenlehre und das war Wegzehrung für ein ganzes Leben. Doch die Konkurrenz schläft nicht! In der Neuzeit tummeln sich Astrologen, Gurus, Heiler, esoterische Lehren und Sekten auf dem Marktplatz der Möglichkeiten. Teufelszeug sagen die einen, Unabhängigkeit sagen die anderen. Wenn der Leser Viola, die Heldin in Elisabeth Juckers neuestem Roman "Die Villa", kennenlernt, ist diese gerade auf der Suche nach dem eigenen Ich.

Der Sinn des Lebens liegt vor ihr wie ein leeres Regal. Dabei arbeitet Viola als Einrichtungsberaterin in einem exquisiten Möbelhaus und berät fremde Menschen. Sie schlägt vor, wie diese sich einrichten können. Das macht sie gut, mit ihrer außergewöhnlichen Sensibilität und visionären Begabung. Doch selbst? Ihre Wohnung ist nett, doch den Dingen in ihrem Innern kann sie nicht einmal den richtigen Platz zuweisen. Ein Zeitungsinserat gibt ihr schließlich Hoffnung.

Ein Kurs bei Dr. Schenkel in der "Villa" verspricht persönliche Reifung. Viola möchte die verheißene unsichtbare Energie des Heilers aufnehmen und konservieren. Dann - später einmal - will sie raus. Raus aus dem Möbelladen, raus aus der Wohnung. Sie würde gerne in ein Haus ziehen, in eine Villa vielleicht, jedenfalls etwas mit Fundament, das schwebt ihr vor. Ein Garten und Bäume, tief verwurzelt, wären nicht schlecht. Die "Inneneinrichtung" würde ihr dann schon gelingen, stellt sie sich vor.

Die Schweizer Autorin Elisabeth Jucker erzählt in ihrem dritten Roman von den Schwächen der Menschen, von ihren Abhängigkeiten und den Wünschen nach Selbstständigkeit. Das Buch ist, wie von ihr gewohnt, voller Symbolik und beleuchtet auktorial seelische Vorgänge wie psychische Prozesse. Kommentarlos. Emotionen weckt Elisabeth Jucker nicht. Dafür fokussiert sie fotografisch scharf. Juckers Sprache gleicht einem Konzentrat, kein Satz ist zu viel, aber jedes Wort präzise gewählt. Ein wohlgefügter Roman, der sich trotz polarisierendem Thema gerne lesen lässt.

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Emanzipation aus den Heilerfängen

Eva Tichy / Aargauer Zeitung / 15.5.07

In «Die Villa» thematisiert Elisabeth Jucker alternativ-esoterische Therapien.

Wichtigster Schauplatz von Elisabeth Juckers Roman «Die Villa» ist eine zerfallende Villa, in der Dr. Schenkel, ein selbst ernannter Guru, seine Heilkunst praktiziert. In seinen Einzel- und Gruppensitzungen geht es darum, innere Energie fliessen zu lassen, eigene Grenzen auszuloten, um den persönlichen Reifungsprozess voranzutreiben und zur «inneren Wahrheit» vorzustossen. Seine Arbeitsmethode, die Schenkel DMK (Direkte Manipulation am Körper) nennt, umfasst neben Meditation und offensichtlich intimen Berührungen auch gröbste Beschimpfungen der Patienten: Sie sollen die Kranken aus sich selbst herauslocken.

Schenkels Klienten ist gemeinsam, dass es sich bei ihnen um labile Charaktere handelt, die nach einem höheren Sinn zu suchen scheinen. Dabei geraten sie in die Abhängigkeit des Meisters, der sie manipuliert und in mehrfacher Hinsicht auszunutzen weiss.

IN DIESEN ZIRKEL gerät die Protagonistin Viola, eine junge Frau, die als erfolgreiche Verkäuferin in einem Möbelgeschäft tätig ist. Trotzdem ist sie mit sich und ihrer Arbeit nicht zufrieden. Sie wünscht sich, Menschen in anderen Bereichen als bloss in der Wahl ihrer Wohnungseinrichtung zu beraten. In einem Zeitungsartikel stösst sie auf Dr. Schenkel und beschliesst, sich dort zur Heilerin ausbilden zu lassen.

Die Leser erleben die gesamte Handlung sozusagen mit dem Blick über Violas Schulter und können beobachten, wie sie auf den abstossenden Dr. Schenkel hereinfällt, dies jedoch erkennt und gegen die Abhängigkeit ankämpft. Obwohl sie von Anfang an nüchtern durchschaut, wie dubios seine Heilungsmethoden sind, fühlt sie sich zu ihm doch eigenartig hingezogen. Ebenso von der Villa, die trotz dem ständig muffigen Geruch und aller Schmuddligkeit eine magische Anziehungskraft zu haben scheint.

DIE WETTINGER AUTORIN lässt die Figuren ihres Romans wie in einem Theater auftreten. Die Leser werden zum Publikum, das die Handlung von aussen verfolgt und sämtliche Interpretationsarbeit selber leistet. Die Qualität des Romans liegt gerade darin, dass Elisabeth Jucker sich im Hintergrund hält, objektiv und nüchtern schildert, nie kommentiert oder das Urteil ihrer Leserschaft in irgendeine Richtung zu lenken versucht. So bleibt es auch den Lesern überlassen, was sie von Dr. Schenkels Therapiemethoden halten wollen.